Sehr geehrter Herr Resch!
Ich wohne in Döbling, in der Nähe der Krottenbachstraße und habe gerade Ihre Postwurfsendung aus meinem Postkasten geholt.
Ich möchte Ihnen höflich, aber doch sehr dringend Mathematik-Nachhilfestunden empfehlen.
Im Frühjahr 2022 wurden die Menschen, die in der Nähe der Krottenbachstraße wohnen, schriftlich befragt, ob sie den geplanten Radweg durch den 19. Bezirk – unter anderem entlang der Krottenbachstraße – befürworten. Ich habe mich an der Abstimmung beteiligt und kann mich noch gut daran erinnern.
Die Deadline für die Teilnahme an der Abstimmung war 2 Tage (!) nachdem der Brief in meinen Postkasten geworfen wurde. Ich habe gleich am nächsten Tag das Kuvert mit meiner Antwort retourniert. Ich bezweifle, dass es rechtzeitig angekommen ist. Die Kuverts wurden viel zu spät verschickt, das war eigentlich eine Frechheit. Zudem wurde nicht angegeben, ob es sich bei der Deadline um das Datum des Poststempels handelt, oder ob die Antwortkuverts an dem besagten Tag schon eintreffen mussten (ich glaube, verschickt wurden die Briefe von der ÖVP Döbling? Oder war die FPÖ Mitorganisator?). Alles in Allem war das eine wirklich sehr unprofessionell organisierte Befragung.
Die Befragungszettel wurden anscheinend an 7.515 Haushalte im “Einzugsgebiet der Krottenbachstraße” versendet. 2.694 gültige Antwortkarten wurden retourniert, und rund 72% der Menschen, die Antwortkarten retournierten, sprachen sich gegen den Radweg aus.
Sie schreiben in Ihrer Postwurfsendung, die ich heute bekommen habe, dass “72 Prozent der Anrainer … sich daher gegen den Radweg ausgesprochen” haben.
Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen Nachhilfe in Mathematik erteile:
1) Nicht in jedem Haushalt lebt nur eine einzige Person, aber es wurde nur an jeden der 7.515 Haushalte eine einzige Befragungskarte verschickt. Das bedeutet, dass es in zahlreichen Haushalten Menschen geben kann, die für den Radweg sind, obwohl die eine Person, die sich an der Befragung beteiligt hat, sich eventuell dagegen ausgesprochen hat. Die Anzahl der Haushalte im Einzugsgebiet der Krottenbachstraße entspricht nicht der Anzahl der Anrainerinnen und Anrainer im Einzugsgebiet der Krottenbachstraße.
2) Da nur 2.694 gültige Antwortkarten retourniert wurden und sich 72% der Menschen, die diese Antwortkarten retournierten, gegen den Radweg aussprachen, bedeutet das, dass sich (statistisch) 1.939,68 Personen – aufgerundet: 1.940 Personen – gegen den Radweg ausgesprochen haben.
3) Wenn es 7.515 Anrainer-Haushalte gibt und man annimmt, dass in jedem Haushalt nur eine einzige Person lebt, dann sind 1.940 Personen (1 Person pro Haushalt) nur 25,82%. Also nicht “72% der Anrainer”, wie Sie behaupten.
4) Und nicht vergessen: In vielen dieser Haushalte leben mehr als nur eine Person. Wenn Sie sich die Wohnstatistik der Stadt Wien für das Jahr 2022 anschauen, dann sehen Sie, dass im 19. Bezirk pro Wohnung (durchschnittlich) 1,98 Personen hauptgemeldet waren, wobei es sich hier um unbereinigte Daten handelt. Wenn ich aber diesen Wert von 1,98 mit den 7.515 Anrainer-Haushalten multipliziere, komme ich auf eine Zahl von 14.879,70 (gerundet: 14.880) Menschen, die im Einzugsgebiet der Krottenbachstraße leben. Nicht alle sind volljährig und somit wahlberechtigt. Aber Sie behaupten ja, dass sich “72% der Anrainer” gegen den Radweg ausgesprochen haben. Auch Minderjährige sind Anrainer.
Alles in Allem hat sich auf jeden Fall nur eine Minderheit der Menschen, die im Einzugsgebiet der Krottenbachstraße leben, gegen den Radweg ausgesprochen, maximal 25,82%, in der Realität aber weniger, weil es ja nicht nur Einpersonenhaushalte gibt – und das ist Mathematik auf Volksschulniveau.
Ich ärgere mich jedes Mal, wenn Politikerinnen oder Politiker versuchen, Wählerinnen und Wähler mit falschen Daten zu manipulieren.
Als Frau ärgere ich mich zudem, dass Sie Postwurfsendungen verschicken, in denen nur die Männer angesprochen werden: “Liebe Döblinger…”. Das ist im 21. Jahrhundert wirklich nicht mehr zeitgemäß. Das ist meiner Meinung nach reine Faulheit, wenn jemand nur die männliche Form der Ansprache benutzt.
Seien Sie bitte nicht unhöflich und sprechen Sie bitte auch die Döblingerinnen an, wir machen nämlich rund die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung im 19. Bezirk aus.
Über all Ihre anderen Beschwerden kann ich eigentlich nur den Kopf schütteln und denke mir, dass so ein Gejammer über Kleinigkeiten – z. B. eine etwas längere Fahrzeit für Menschen, die aufgrund der Bauarbeiten derzeit den 35A-Bus benützen (5 Minuten? 10 Minuten?) – Ihnen keinen Stimmengewinn bringen wird. Ich kenne Niemanden, der so verweichlicht ist, dass er deshalb das eigene Stimmverhalten bei Wahlen ändern wird.
Auch die Gehwege bleiben breit genug, wenn der Radweg gebaut wird, und der Verlust der “Grünflächen”, den Sie beklagen… nun, wie oft benützen Sie eigentlich die Gehwege, an die diese Grünflächen anschlossen? Diese jetzt entfernten “Grünflächen” wurden bevorzugt von rücksichtslosen Menschen als Müllhalden benutzt. Diesen Verlust können wir alle verschmerzen, auch ich, und ich bin ein Öko-Fundi.
Und abschließend…ich fahre weder Auto, noch Fahrrad. Aber der Radweg wird den Wert der Immobilien der Anrainer-Haushalte erhöhen. Es werden mehr junge Menschen in den Bezirk ziehen und das empfinde ich als mittlerweile 56-jährige Frau sehr positiv. Junge Menschen, die in einen Bezirk ziehen, in dem die Mieten teurer sind, als in anderen Bezirken, oder dort Wohnungen kaufen, sind hoch gebildet und hoch qualifiziert. Solche Menschen wählen in der Regel nicht die FPÖ. Ich wage jetzt einmal eine Vorhersage: Die FPÖ wird bei den nächsten Bezirkswahlen im 19. Bezirk keine Zugewinne verzeichnen. Warten wir ab…
Mit freundlichen Grüßen,
Ingrid Haunold