Kennt Ihre Hausverwaltung den Unterschied zwischen ordentlichen und außerordentlichen Agenden (Teil 1)?

In meinem letzten Artikel habe ich über das Anbringen eines gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Handlaufs auf dem Zugangsweg zu einem der Stiegenhäuser in “meiner” Liegenschaft gesprochen – 14 Monate hat es gedauert, bis dieser Handlauf endlich montiert wurde. Eine Anzeige bei der Baupolizei hat dazu beigetragen, dass die Hausverwaltung im Juni 2024 letztendlich diesen Handlauf montiert hat.

Heute möchte ich ein weiteres Beispiel beschreiben, bei dem es um das Anbringen von Handläufen geht. Für die Anbringung dieser Handläufe gibt es, da nur jeweils eine einzige Stufe überwunden werden muss, allerdings keine gesetzlichen Vorgaben. Die Baupolizei kann mir, wenn die Hausverwaltung in einem sehr gemütlichen Tempo agiert, also nicht helfen, den Prozess zu beschleunigen. Obwohl es in diesem Beispiel um Handläufe geht, ergeben sich daraus ganz andere rechtliche Fragen, die ich in mehreren Artikeln separat behandeln möchte.

In meinem letzten Artikel habe ich darüber berichtet, dass bei einer Vor-Ort-Begehung am 4. April 2023 über die Notwendigkeit der Anbringung von Handläufen gesprochen wurde. Bei diesem Termin wurde auch erwähnt, dass die Hausverwaltung von (nicht genannten) Eigentümerinnen oder Eigentümern gebeten wurde, bei den Eingängen zu zwei der neun Stiegenhäuser, wo jeweils eine einzige Stufe überwunden werden muss, Handläufe anzubringen, da Sturzgefahr für ältere oder gebrechliche Bewohnerinnen und Bewohner bestehen könnte. Es wurde auch erwähnt, dass dafür eine Abstimmung notwendig sei, und es eine Entscheidung der Eigentümerinnen und Eigentümer sei, ob diese beiden Handläufe angebracht werden sollen.

©-Ingrid-Haunold

In der Eigentümerversammlung im September 2023 wurde darüber gesprochen, in einem Schreiben der Hausverwaltung vom 2. Oktober 2023 wurde schriftlich darüber informiert und es wurden Abstimmungsbögen mitgeschickt. Man hatte rund drei Wochen lang Zeit, um sich an der Abstimmung zu beteiligen. Ich habe selbstverständlich für das Anbringen dieser Handläufe gestimmt. Mit Datum 12. Dezember 2023 wurden die Abstimmungsergebnisse veröffentlicht, eine große Mehrheit der Eigentümerinnen und Eigentümer stimmte für diese Maßnahme. Das überraschte mich nicht, denn in “meiner” Liegenschaft leben sehr viele anständige Menschen, und wenn wenn es darum geht, Handläufe zu montieren, damit alte und gebrechliche Menschen eine Stufe leichter überwinden können, stimmt selbstverständlich eine überwältigende Mehrheit für so eine Maßnahme.

©-Ingrid-Haunold

An der beschriebenen Vorgehensweise habe ich – vorerst – keine Kritik zu üben, auch das Tempo finde in grundsätzlich in Ordnung. Denn ich erwarte nicht, dass für jede einzelne Frage, die durch eine Abstimmung geklärt werden muß, auch unverzüglich eine eigene Abstimmung organisiert wird. Es macht Sinn, über mehrere Fragen auf einmal abstimmen zu lassen und da kann es schon sein, dass ein paar Monate zugewartet wird. Wenn es also um außerordentliche Agenden geht und eine Abstimmung notwendig ist, kritisiere ich nicht, dass erst im Oktober 2023 eine Abstimmung organisiert wird, obwohl die Hausverwaltung schon im April 2023 wußte, dass von einigen Eigentümerinnen und Eigentümern der Wunsch für das Anbringen zusätzlicher Handläufe geäußert wurde.

Für mich ist allerdings im Nachhinein eine Frage ungeklärt: War das jetzt eine Abstimmung über ordentliche oder außerordentliche Agenden der Hausverwaltung?

Die Tatsache, dass ich das auch jetzt immer noch nicht beurteilen kann, finde ich problematisch. Bei ordentlichen Agenden sind ja keine Abstimmungen notwendig, d. h. die zusätzlichen Handläufe hätten – wenn es sich eventuell um ordentliche Verwaltungsagenden handelt – schon im April 2023 montiert werden können.

Im April 2023 wurde mitgeteilt, dass eine Abstimmung notwendig sei. Im Oktober 2023 wurde diese Behauptung schriftlich wiederholt: Nur die Eigentümerinnen und Eigentümer könnten über diese Maßnahme entscheiden. Das würde für mich eigentlich bedeuten, dass es sich um außerordentliche Agenden handelt. Die Hausverwaltung erwähnt das in ihrem Schreiben aber nicht explizit.

Und auch auf dem Abstimmungsformular, das ich ausfüllte, wird nicht erwähnt, ob es sich um eine Abstimmung über ordentliche oder außerordentliche Agenden handelt. Auf dem Formular konnte ich nur ankreuzen, ob ich mit der Maßnahme einverstanden bin oder nicht und es gab Informationen darüber, bis zu welchem Datum ich das ausgefüllte Formular an die Hausverwaltung retournieren musste.

Meine erste Frage in diesem Zusammenhang ist: Ist das überhaupt korrekt, dass diese Information darüber, ob es sich um ordentliche oder außerordentliche Agenden handelt, auf einem Abstimmungsformular nicht angegeben wird?

Ich weiß es nicht, finde das aber sehr seltsam.

In dem Schreiben, mit dem der Beschluss im Dezember 2023 bekanntgegeben wird, steht dann, dass der Beschluss deshalb gültig ist, weil sich zumindest so viele Eigentümerinnen und Eigentümer an der Abstimmung beteiligt haben, dass ihre Stimmanteile mindestens ein Drittel der Gesamtanteile ausmachen und zudem mindestens zwei Drittel der abgegebenen Stimmen für diese Maßnahme abgegeben wurden. Die Einspruchfrist gegen diesen Beschluss beträgt laut Angaben der Hausverwaltung einen Monat.

Die Hausverwaltung verweist in ihrem Schreiben über die Beschlussbekanntgabe auf § 24 Abs. 4 Satz 1 und 2 WEG 2002, wo genau diese Bestimmung über die Beteiligungsquoten nachgelesen werden kann: “Für die Mehrheit der Stimmen der Wohnungseigentümer ist entweder die Mehrheit aller Miteigentumsanteile oder die Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, ebenfalls berechnet nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile, erforderlich. Im zweitgenannten Fall muss die Mehrheit überdies zumindest ein Drittel aller Miteigentumsanteile erreichen.”

Auf diesen § 24 Abs. 4  wird in dem § 28 Abs. 1 WEG 2002 Bezug genommen, in dem es um Abstimmungen über ordentliche Agenden geht: “In Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung der Liegenschaft entscheidet – unbeschadet der Rechte des einzelnen Wohnungseigentümers nach § 30 – die Mehrheit der Wohnungseigentümer (§ 24 Abs. 4).”

Daraus schließe ich, dass die Hausverwaltung argumentiert, dass es sich bei dieser Abstimmung um eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung handelt. Aber weshalb wurde den Eigentümerinnen und Eigentümern dann vorab mitgeteilt, dass nur die Eigentümergemeinschaft in dieser Angelegenheit entscheiden kann und eine Abstimmung notwendig ist?

Für Agenden der ordentlichen Verwaltung sind ja gar keine Abstimmungen notwendig!

Ich denke mir beim Lesen der Beschlussbekanntgabe, egal, was die Hausverwaltung behauptet: Das ist eine Abstimmung über außerordentliche Agenden der Verwaltung. Und bei Abstimmungen über außerordentliche Agenden gilt eine 3-monatige Einspruchsfrist.

“Über Veränderungen an den allgemeinen Teilen der Liegenschaft, die über die in § 28 genannten Angelegenheiten hinausgehen, wie etwa nützliche Verbesserungen oder sonstige über die Erhaltung hinausgehende bauliche Veränderungen, entscheidet die Mehrheit der Wohnungseigentümer (§ 24 Abs. 4), doch kann jeder der Überstimmten mit einem gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richtenden Antrag die gerichtliche Aufhebung des Mehrheitsbeschlusses verlangen. Die Antragsfrist beträgt drei Monate, bei unterbliebener Verständigung des Wohnungseigentümers von der beabsichtigten Beschlussfassung und von ihrem Gegenstand (§ 25 Abs. 2) hingegen sechs Monate und beginnt mit dem Anschlag des Beschlusses im Haus gemäß § 24 Abs. 5.” (§ 29 Abs. 1 WEG 2002).

Fassen wir zusammen: Die 1-monatige Einspruchsfrist gegen Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft gilt für Agenden der ordentlichen Verwaltung, für außerordentliche Agenden gilt eine 3-monatige Einspruchsfrist.

In nachfolgenden Telefonaten mit einer Mitarbeiterin der Hausverwaltung wurde mir versichert, dass es sich um eine Abstimmung über ordentliche Agenden gehandelt hätte, weshalb es auch nur eine 1-monatige Einspruchsfrist gab.

Ich bin mir nicht sicher, dass das stimmt. Ich weiß, dass die Abgrenzung zwischen ordentlichen und außerordentlichen Verwaltungsagenden schwierig ist, weil es nämlich auch noch den dynamischen Erhaltungsbegriff gibt. Ob das Anbringen von zusätzlichen Handläufen unter diesen dynamischen Erhaltungsbegriff zählt, weiß ich nicht. Das muß ich noch recherchieren.

Aus diesem Beispiel ergeben sich mehrere grundlegende Fragen:

1) Muss auf einem Abstimmungsformular und dann auch in dem Schreiben, in dem das Ergebnis der Abstimmung bekanntgegeben wird, explizit angegeben werden, ob es sich bei einer Abstimmung um ordentliche oder außerordentliche Agenden handelt? Hat meine Hausverwaltung schlampig gearbeitet?

2) Kann mit dem dynamischen Erhaltungsbegriff argmentiert werden, wenn es um das Anbringen von Handläufen geht, bei denen nur eine einzige Stufe überwunden werden muss? Oder fällt so eine Maßnahme nicht unter diesen dynamischen Erhaltungsbegriff?

3) Wenn es sich um Agenden der ordentlichen Verwaltung handelt, ist ja keine Abstimmung notwendig. Wieso wird den Eigentümerinnen und Eigentümern dann mitgeteilt, dass nur sie über diese Maßnahme entscheiden können und eine Abstimmung notwendig ist? Man muß auch bedenken, dass die Kosten für diese Maßnahme lächerlich gering sind. Die Kosten für beide Handläufe (Material und Montage) belaufen sich gemeinsam auf einen dreistelligen Eurobetrag, also nicht einmal auf 1.000,00 Euro. Für eine Liegenschaft mit rund 150 Wohnungen ist das eine so geringe Summe, dass man nicht einmal mit finanziellen Bürden argumentieren könnte, die eventuell eine Abstimmung auch bei Agenden der ordentlichen Verwaltung sinnvoll bzw. notwendig machen würden. Wenn die Hausverwaltung eine 1-monatige Einspruchsfrist angibt und somit behauptet, dass es sich um Agenden der ordentlichen Verwaltung handelt, verstehe ich nicht, weshalb überhaupt eine Abstimmung notwendig war. Dann hätten diese zwei Handläufe doch gleich im April 2023 montiert werden können, und nicht erst im Juni 2024, wie das letztendlich gemacht wurde. Wenn es sich um Agenden der ordentlichen Verwaltung handeln würde, müsste ich dann doch Kritik üben und der Hausverwaltung vorwerfen, dass sie nicht zügig gehandelt hat.

4) Eine weitere Frage, die sich ergibt, wenn argumentiert wird, dass es sich um ordentliche Agenden der Verwaltung handelt, ist, warum dann nicht bei allen neun Stiegenhäusern Handläufe montiert wurden. Wenn der dynamische Erhaltungsbegriff verwendet wird, um zu argumentieren, dass es sich nicht um außerordentliche Agenden handelt und es deshalb nur eine 1-monatige Einspruchsfrist geben kann, dann verstehe ich nicht, wie die Hausverwaltung gegenüber den Eigentümerinnen und Eigentümern der sieben anderen Stiegenhäuser rechtfertigen will, dass die dort wohnenden alten und gebrechlichen Menschen kein Recht auf einen Handlauf haben. Dann könnte ich eigentlich der Hausverwaltung einen Vorwurf machen, dass sie ausgewählte Eigentümerinnen und Eigentümer bevorzugt und andere benachteiligt. Auf allen Stiegen wohnen alte und gebrechliche Menschen!

Meiner Meinung nach handelt es sich bei dieser Abstimmung um eine Maßnahme, die zu den außerordentlichen Agenden der Verwaltung zählt, und somit auch wirklich eine Abstimmung notwendig war. Ich glaube eigentlich, dass die Hausverwaltung einen Fehler macht, wenn sie argumentiert, dass es sich um eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung handelt und bei der Beschlussbekanntgabe eine 1-monatige Einspruchsfrist angibt. Aber sicher bin ich mir nicht, und ich bin ja auch keine Juristin.

Da ich eine möglichst rasche Anbringung der Handläufe wünschte (und eigentlich Handläufe für alle neun Stiegenhäuser befürworte), habe ich diese Angelegenheit damals nicht weiterverfolgt. Sonst wäre es vielleicht zu weiteren Verzögerungen gekommen. Wenn die Hausverwaltung eventuell einen Fehler macht, der mir nützt bzw. meinen Wünschen entspricht, bin ich nicht so blöd, dass ich mich darüber aufrege. Jede Eigentümerin und jeder Eigentümer ist schließlich selbst verantwortlich dafür, dass ihre/seine Rechte gewahrt werden.

Dass die Handläufe erst im Juni 2024 angebracht wurden, ärgert mich aber auf jeden Fall Denn eigentlich erwarte ich mir, dass die Hausverwaltung unverzüglich handelt, sobald die Einspruchsfrist gegen einen Beschluss der Eigentümergemeinschaft endet. Ob das jetzt der 12. Jänner 2023 gewesen wäre (bei einer 1-monatigen Einspruchsfrist), oder der 12. März 2024 (bei einer 3-monatigen Einspruchsfrist), ist egal: Das rechtfertigt meiner Meinung nach nicht, dass diese Handläufe erst im Juni 2024 angebracht wurden.

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